Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren!
November und Nebel, welch treffende Bildsprache unser Kämmerer in seiner Haushaltsvorstellung da bemühte.
Angesichts der multiplen Krisen breitet sich Unsicherheit aus.
Der Krieg ist zurück in Europa. Wir kannten ihn nur noch aus Erzählungen von Eltern oder Großeltern. Jetzt ist er in unserem Alltag angekommen. Uns bis vor Monaten unbekannte Ortsnamen wie Mariopol, Lviv, Chersson, Butscha, Saporischschja, Mykolaew und natürlich Kiew sind uns inzwischen sehr vertraut.
Begriffe wie Gasmangellage, Blackout, Inflation, drohender Atomunfall und eine erneute Flüchtlingskrise prägen aktuell unsere Gespräche.
Aber auch Entlehnungen aus der Kindersprache wie Wumms und Doppelwumms gehören dazu. Einprägsam sind sie, zweifellos. Ob diese Begriffe aber eine beruhigende Wirkung entfalten, wage ich zu bezweifeln.
Der Kämmerer bemühte das Bild von einer Schifffahrt im Nebel. Wir haben keine Weitsicht, alte vertraute Gewissheiten gelten nicht mehr.
Das prägt auch den aufgestellten Haushalt. Er baut auf Bekanntem auf, beruht auf vielen Annahmen und lebt von der Hoffnung, dass sie zutreffen werden.
Das ist angesichts der unklaren Lage pragmatisches Handeln, mehr geht im Moment nicht. Bei veränderter Lage, muss er angepasst werden. Gut so!
Unser Dank geht an dieser Stelle an die Rathausmannschaft, die trotz der gefühlten und echten Bedrohungen sich einsetzt, um vor der Lage zu bleiben und für die Bürgerinnen und Bürger eine Normalität zu erhalten.
Es folgt ein kurzer, kritischer Rückblick auf das ablaufende Jahr.
Ich beginne mit einer Auswahl positiver Beispiele, die wir gemeinsam erreicht haben:
- Als Highlight gilt für uns das fertiggestellte Gudulakloster. Am Umfeld mit der Fischtreppe wird zwar noch gearbeitet, aber man merkt, hier entsteht eine Schokoladenseite von Rhede.
- Dazu gehört das in der direkten Nachbarschaft stehende Museum, dessen Sanierung und Neugestaltung in Kürze beginnen.
- Ein richtungweisendes, pragmatisches Wirtschaftswegekonzept ist beschlossen und geht ab 2023 in die Umsetzung.
- Mit dem X80 ist eine Expressbuslinie nach Bad Bentheim installiert. Wir hoffen, dass die mehrjährige Versuchsphase positiv verläuft.
- Die Planungen für einen Mountainbike-Park sind angestoßen.
- Die komplexe Nachnutzungsregelung für den Real-Standort konnte vereinbart werden. Nun erwarten wir die konkrete Umsetzung.
- Die parallel verlaufende Überarbeitung des Einzelhandelsentwicklungskonzeptes wurde abgeschlossen.
- Auf der Langzeitbaustelle Gesa konnte der 1. Abiturjahrgang in Rhede seine Schulzeit mit Erfolg beenden.
Ein Ende der Bauarbeiten, wenn auch zu höheren Kosten, zeichnet sich endlich ab.
- Für einen Neubau der Overbergschule läuft momentan die „Planungsphase 0“ zur Ermittlung der Bedarfe.
Weniger erfolgreich war bzw. ist folgendes und hier unterscheiden sich unsere Positionen im Rat zum Teil erheblich:
- Die Planungen zum Radschnellweg mutieren zur Provinz- bzw. Landesposse. Von vielen gewollt, von wenigen vehement angelehnt, scheint das Projekt zur never-ending-story zu werden.
- Ähnlich geht es unserem Mobilitätskonzept. Der noch in der vorhergehenden Legislaturperiode gegründete Arbeitskreis/Beirat „Mobilität“ hatte seine Arbeit im Frühsommer erfolgreich abgeschlossen.
Das Ergebnis gefiel, trotz eigner Mitarbeit im Arbeitskreis, der CDU nicht. Sie reichte über 80 Veränderungswünsche ein. Ca. 35 Ergebnisse sollten ganz gestrichen werden.
Hintergrund ist die Tatsache, dass der Arbeitskreis zwar kompetent besetzt war, nicht aber die seit 2020 neuen Mehrheitsverhältnisse im Rat widerspiegelt. Nach CDU-Logik spiegeln die erarbeiteten Ergebnisse so nicht die politische Realität wider.
Wir stellen fest: Bürgerbeteiligung mag man in der CDU nicht.
- Ähnlich holprig läuft die Standortfindung für die neu zu errichtende Overbergschule. Teure weitere Untersuchungen müssen angestellt werden, um CDU und FDP eine Entscheidung zu erleichtern.
- Zum Thema „Anpassung an sich verändernde Lebensbedingungen“:
Um mehr Dynamik in unsere Klimapolitik und Klimafolgenanpassung zu bringen, haben wir einen Antrag in die Haushaltsberatungen eingebracht.
Anlass war folgende Formulierung des BM in seiner Haushaltsrede:
„Klimaschutz und die Folgen des bereits fortschreitenden Klimawandels sind eine Daueraufgabe und dem müssen wir uns stellen. Jetzt!“
Dieser Forderung schließen wir uns uneingeschränkt an, denn die Klimakrise kommt schneller, als unsere Anpassung an die sich verändernden Lebensbedingungen.
Ziel unseres Antrages war es, eine Diskussion zu initiieren, einen Wettbewerb der Ideen in Gang zu setzen, mit der Fragestellung:
Wie kann man mit den vorhandenen Ressourcen mehr Effektivität im Verwaltungshandeln in Sachen Klimaanpassung bewirken?
In meiner Stellungnahme im BPUA analysierte ich kurz die Situation. Es erfolgte kein Widerspruch.
Dann beschrieb ich, was zu tun sei. Erneut kein Widerspruch aus anderen Fraktionen.
Daraus schlussfolgerte ich: Wir sind uns in Analyse und Aufgabenstellung einig.
Da hatte ich mich geirrt!
Denn was dann folgte war eine breite Ablehnung aus CDU und FDP ohne eine inhaltliche Diskussion zum eigentlichen Thema. Bessere Vorschläge, die ich ausdrücklich einforderte, blieben aus.
Leider folgt der beschriebene Ablauf einem sich wiederholenden Muster:
Keine inhaltliche Diskussion zum Thema, sondern ablehnen, ohne sich zu outen, wie man es besser machen könnte.
Auch der BM, der sich eigentlich klar positioniert hatte, zieht sich zurück und verweist auf mögliche Zielkonflikte.
Mit Verlaub Herr Bürgermeister: Das ganze Leben ist ein Zielkonflikt!
Wir meinen: Auf Dauer kann nur der bestehen, der sich in seinem Handeln eindeutige Schwerpunkte setzt und es damit schafft, sich an verändernde Bedingungen rechtzeitig anzupassen.
Ich halte fest:
Trotz der erfahrenen Ablehnung, die Diskussion ist angestoßen. Sie können sich darauf verlassen: Wir werden dranbleiben!
- Der Höhepunkt des ablaufenden Jahres war für uns und sicherlich auch für viele Bürgerinnen und Bürger der Umgang mit den Herren „Wagenfeld und Castelle“.
Zufällig wurde dieses Thema zeitgleich mit dem Krieg in der Ukraine für uns bedeutsam.
Oben hatte ich erwähnt, dass wir in den vergangenen Monaten viele Ortsnamen aus der Ukraine gelernt haben.
Die Ukraine war in den letzten Jahrzehnten in unserem geschichtlichen Gedächtnis wenig präsent. Möglicherweise ist da auch vieles verdrängt gewesen.
Nun aber anlässlich der Diskussion über Straßennamen holt uns unsere eigene Vergangenheit ein.
Denn die Ukraine war im 2. Weltkrieg ein Schicksalsland für uns Deutsche. Tausende von deutschen Soldaten sind in ukrainischer Erde begraben.
Tatsache ist auch, dass unsere Väter und Großväter sich in der Ukraine ähnlich verhalten haben, wie heute Putins Truppen.
Angestachelt durch die Nazis und ihrer Herrenrassenideologie, der auch die Herren Wagenfeld und Castelle anhingen, geschah Schreckliches in der Ukraine.
Nach dem Überfall auf die Ukraine wüteten SS, SD und auch die Wehrmacht in diesem Land.
In der Schlucht von Babyn Jar wurden im September 1941 in nur 48 Stunden mehr als 33.000 Frauen, Kinder und ältere Menschen ermordet.
Äußerst brutal brachen die deutschen Truppen jeden Ansatz von Widerstand.
Ein Foto geht mir nicht aus dem Kopf:
In einer Kiewer Prachtallee hatte man an den schmucken Gründerzeithäusern zur Abschreckung hunderte von Menschen an ihren Balkonen erhängt.
Am Ende des Kriegs 1945 waren ca. 8 Millionen ukrainische Menschen tot.
Wie sich doch die Ereignisse von 1941 und 2022 gleichen!
„Was haben wir damit zu tun?“ könnte man sich fragen.
In Deutschland herrschten seinerzeit die Nazis, deren Menschenbild geprägt war von der Ideologie des Herrenmenschen.
Die Verbindung zum heute sind nun mal die Herren Wagenfeld und Castelle.
Sie waren überzeugte Anhänger dieser Ideologie.
Wer wie Wagenfeld „Neger, Kaffern und Hottentotten als Halbtiere bezeichnete, Fremdrassige als Volksverderber und Schädlinge“ einstufte, sich für die Euthanasie, also das Töten von Behinderten einsetzte, wer wie Castelle, Mitarbeiter im Lügenministerium des Joseph Göbbels, sich aktiv in verantwortlicher Position als stellvertretender Leiter des Rundfunks in Köln im Sinne der Nazis einsetzte, denen gebührt nicht die Ehre, dass ihre Namen in Rhede als Straßennamen geführt werden.
Wir vertreten in dieser Frage eine klare und eindeutige Haltung: Vertreter und Befürworter von Terrorregimen wollen wir nicht ehren!
Zweimal wurde diese Thematik im BPUA behandelt.
Zweimal wurde mit Mehrheit entschieden:
Diese 2 Nazis und Rassisten bleiben als Namensgeber erhalten.
Begründung der Mehrheit:
Man verurteilt zwar die Ansichten von Wagenfeld und Castelle, aber man möchte keinen Aufwand für die Anwohner!
Außerdem möchte man die Auseinandersetzung mit Geschichte fördern, indem man ein relativierendes Alibischild unter die Namensschilder montiert.
Es ist die Schlichtheit der Argumentation und die damit verbundene Relativierung von ungeheuren Verbrechen und der fehlende Mut zu einer klaren Entscheidung die einfach nur sprachlos macht.
Ich schäme mich.
Trost gib mir, was Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen der Gesa anlässlich des Volkstrauertages in der Feierstunde vortrugen:
„Wir müssen feststellen, dass Krieg, Gewalt, Terror, Verletzung der Menschenrechte, Vorurteile, Fanatismus, Intoleranz auch heute leider aktuell und eine globale Bedrohung sind. Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg überall, an Kinder, Männer und Frauen aller Völker. Wir trauern um die, die während der Kriege umkamen und die, die an den Folgen starben.“
Lasst uns in die Zukunft schauen. Was können wir für Rhede tun?
Wie die Zusammenarbeit stärken?
Die Vorstellungen von SPD und FDP sind uns im Grundsätzlichen bekannt!
Von der CDU leider nicht.
Daher erwarten wir von der CDU-Fraktion, die immerhin die Hälfte der Ratssitze innehat, mehr als nur reaktives, vorrangig ablehnendes Verhalten, sondern eigene Vorschläge und Ideen, wie sie sich die Zukunft für Rhede vorstellt.
Wir brauchen ihre Ideen, ihre Anregungen und klare Antworten auf viele Fragen:
- Wie soll z.B. eine Verkehrswende gestaltet werden?
- Wie gehen wir eine Wärmewende an?
- Was sagen sie den Menschen, die in den online verfügbaren Hochwasserkarten ihr Haus im Extremfall unter Wasser sehen?
- Welchen Ideen entwickeln sie, um extreme, todbringende Hitzeperioden im Sommer zu bestehen?
- usw. ……
Um Antwort wird dringend gebeten!
Zurück zum Haushalt:
Wir werden dem vorgelegten Haushalt in der vorgelegten Form zustimmen!
Ich danke für ihre Aufmerksamkeit!
R. Störkmann
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